Steuerung von Einzelhandelsgroßprojekten

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Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich in seinem Urteil vom 23.05.2023 – 4 CN 10.21 – mit der raumordnerischen Steuerung von Einzelhandelsgroßprojekten auseinandergesetzt. Danach kann eine Gemeinde gegen ein Einzelhandelsgroßprojekt in der Nachbargemeinde nicht mit der Begründung vorgehen, dass sie die eigene Nahversorgung mit Lebensmitteln gefährdet sieht. Das Beeinträchtigungsverbot als Raumordnungsziel sieht das BVerwG grundsätzlich als nicht anwendbar an.

Die Antragstellerin, eine Gemeinde, hatte sich gegen einen Bebauungsplan ihrer Nachbargemeinde gewandt, der die Grundlage für einen großflächigen Lebensmitteleinzelhandel schafft. Antragstellerin und Antragsgegnerin, Gemeinden mit knapp 2.000 und knapp 3.000 Einwohnenden, bilden mit einer weiteren Gemeinde einen Gemeindeverwaltungsverband. Das Einzelhandelsangebot auf dem Gebiet der Antragstellerin besteht im Wesentlichen aus einem ehrenamtlich betriebenen und finanziell von der Gemeinde gestützten Bürgermarkt mit einer Verkaufsfläche von 240 m² und einem Jahresumsatz von etwa 600.000 Euro.

Der im März 2018 bekannt gemachte Bebauungsplan setzt für das Plangebiet als Art der baulichen Nutzung ein sonstiges Sondergebiet – Nahversorgungszentrum – fest. Dies dient vorwiegend der Unterbringung von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben für die örtliche Nah- und Grundversorgung. Zulässig ist u. a. ein Lebensmittelmarkt mit einer Verkaufsfläche von maximal 1.200 m². Im Juni 2019 genehmigte das Landratsamt die Errichtung eines Lebensmittelmarktes. Über den dagegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerin ist noch nicht entschieden. Ein Antrag auf Eilrechtsschutz blieb erfolglos. Der Markt ist inzwischen errichtet und in Betrieb.

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte die Unwirksamkeit des Bebauungsplans festgestellt. Der Plan sei wegen eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 4 BauGB insgesamt unwirksam. Er sei an die Ziele der Raumordnung nicht angepasst.

Hiergegen hat die Antragstellerin erfolgreich Revision eingelegt. Das BVerwG verneinte insbesondere einen Verstoß gegen das Anpassungsverbot nach § 1 Abs. 4 BauGB. Dabei setzt es sich umfassend mit dem Zentralitätsgebot auseinander, welches landesplanerisch als Ziel der Raumordnung konzipiert ist. Dieses wirkt im Zusammenspiel mit den weiteren Zielen in Form des Kongruenz- und Integrationsgebot sowie des Beeinträchtigungsverbotes. Die Regelungen untersagen grundsätzlich die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes auf dem Gebiet der Antragsgegnerin, weil diese keine zentralörtliche Funktion wahrnimmt. Der Bebauungsplan stimmt mit dem Zentralitätsgebot nur überein, wenn die Antragsgegnerin sich auf die enthaltene Ausnahme berufen kann. Diese ist gegeben, wenn ein Einzelhandelsgroßprojekt (1) ausschließlich zur Sicherung der Nahversorgung geboten ist und (2) keine negativen Auswirkungen auf Ziele der Raumordnung zu erwarten sind.

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hatte sich in seinen Entscheidungsgründen darauf berufen, dass negative Auswirkungen auf das Beeinträchtigungsverbot und mithin ein Ziel der Raumordnung zu befürchten seien. Dem ist das BVerwG entgegengetreten. Es sieht das Verbot wegen eines Verstoßes gegen Bundesrecht als nicht anwendbar an. Der Plansatz verbietet u.a., die Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich wesentlich zu beeinträchtigen. Diese Festlegung überschreite die Regelungsbefugnis der Raumordnung. Die Raumordnung ist auf die zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raums ausgerichtet. In Abgrenzung zur Bauleitplanung zeichne sie sich durch eine Koordinierungsfunktion aus. Der Schutz der Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich durch einen Schutz vorhandener Betriebe, ungeachtet ihrer Größe und Lage, löst keinen Bedarf nach raumordnerischer Koordinierung aus. Die Zielvorgabe bilde insbesondere nicht die Vielzahl von möglichen Fallgestaltungen ab. Insofern sei sie nicht als abschließend abgewogen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG zu bewerten.

Das BVerwG hat die Rechtssache an den VGH Mannheim zurückverweisen und diesen zur Prüfung angewiesen, ob der Lebensmittelmarkt ausschließlich zur Sicherung der Nahversorgung geboten ist.

Weitere Informationen: www.bverwg.de/de/230523U4CN10.21.0

20.09.2023